Kaum einem Aktenbestandteil kommt in einem Strafverfahren so viel Bedeutung zu wie dem Protokoll einer Beschuldigtenvernehmung. Sie bildet den Grundstein eines Strafaktes und lässt sich nicht nachträglich revidieren. Daher ist es im Falle einer kriminalpolizeilichen Ladung zur Vernehmung als Beschuldigter essenziell, sich vorab gut zu überlegen, ob, wann und was man aussagen möchte, und stark empfohlen, sich hierbei durch einen Rechtsbeistand beraten zu lassen.
Im Folgenden werden Tipps aus der Praxis zum optimalen Verhalten vor, während und nach einer Vernehmung dargelegt.
I. Vor der Vernehmung
1. Kenntnis der eigenen Rechte
Wesentlich ist zunächst, dass Beschuldigte ihre Rechte kennen und davon Gebrauch machen. Bedauerlicherweise kommt es in der Praxis immer noch vor, dass Personen von der Kriminalpolizei kontaktiert und gefragt werden, ob sie kurz Zeit hätten, auszusagen, ohne dass sie zuvor über ihre Rechte belehrt werden. Von diesen Rechten sind für Vernehmungen insbesondere das Recht auf Akteneinsicht, das Schweigerecht und das Recht, einen Dolmetsch beizuziehen bei nichtdeutscher Muttersprache, relevant.
2. Vernehmung als Beschuldigter oder Zeuge?
Im Falle einer Ladung zur Vernehmung sollte die betroffene Person zunächst in Erfahrung bringen, ob sie als Zeuge oder Beschuldigter einvernommen werden soll. Auch dies wird in der Praxis bei Ladungen nicht immer klar kommuniziert und muss daher regelmäßig aktiv erfragt werden.
Falls eine Vernehmung als Beschuldigter bezweckt ist, empfiehlt es sich, umgehend einen Rechtsbeistand des Vertrauens beizuziehen.
3. Akteneinsicht vor Beschuldigtenvernehmung
Im Falle einer Ladung zur Beschuldigtenvernehmung sollte der Beschuldigte bzw dessen Rechtsvertreter so schnell wie möglich Akteneinsicht nehmen, um Kenntnis vom Akteninhalt und den erhobenen Vorwürfen zu erlangen. Hierzu sollte bei der Kriminalpolizei die Gewährung der Akteneinsicht beantragt und zugleich um Verlegung der Beschuldigtenvernehmung auf einen Termin nach erfolgter Akteneinsicht ersucht werden.
4. Entscheidung, ob man als Beschuldigter aussagen möchte
4.1. Besteht (vollständige) Akteneinsicht?
Die Kenntnis vom Akteninhalt ist essenziell für die Entscheidung, ob man als Beschuldigter überhaupt aussagen möchte. Je nach Akteninhalt und Verfahrensstadium kann es sinnvoll sein, als Beschuldigter zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Dies ist immer eine Einzelfallentscheidung, die unter anderem davon abhängt, ob die Akteneinsicht zur Gänze gewährt wurde oder beschränkt ist.
Temporäre Beschränkungen der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft sind möglich, wenn diese befürchtet, dass die weiteren Ermittlungen durch eine Kenntnis der ausgenommenen Aktenteile beeinträchtigt würden (etwa durch eine Beeinflussung von Zeugen oder Beseitigung von Beweismitteln).
4.2. Wie komplex ist der ermittlungsgegenständliche Sachverhalt?
Bei der Entscheidung, ob eine Aussage sinnvoll erscheint, ist weiters die Komplexität des ermittlungsgegenständlichen Sachverhalts zu berücksichtigen. Gerade in umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren ist es oft einfacher, den Sachverhalt im Rahmen einer schriftlichen Stellungnahme unter Vorlage der relevanten Beweismittel darzulegen. Zusätzlich können, sofern dies als zweckdienlich erachtet wird, Fragen im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung beantwortet werden. Sollte eine zusätzliche Fragenbeantwortung (im derzeitigen Verfahrensstadium) nicht gewünscht sein, so kann die schriftliche Stellungnahme den Behörden überreicht werden und der Beschuldigte darüber hinaus von seinem Schweigerecht Gebrauch machen.
4.3. Welche Verfahrensbeteiligten haben bereits ausgesagt?
Bei der Frage, ob ein Beschuldigter im konkreten Verfahrensstadium aussagen möchte, sollte auch berücksichtigt werden, ob und welche Zeugen und Mitbeschuldigten bereits ausgesagt haben. Je nach Aktenlage kann es sinnvoll sein, als Beschuldigter erst nach Einvernahme sämtlicher Zeugen auszusagen. Dies hat auch für Ermittlungsbeamte den Vorteil, dass dann eine detailliertere Aussage, bei der sämtlichen bisher erhobenen Beweismittel berücksichtigt werden können, möglich ist, wodurch man sich eine ergänzende Einvernahme ersparen kann.
4.4. Fühlt sich der Beschuldigte mental zu einer Aussage imstande?
Ob ein Beschuldigter aussagen möchte, sollte letztlich auch von dessen mentaler Verfassung abhängig gemacht werden. Strafverfahren sind psychisch enorm belastend und können bei Beschuldigten gerade in einer Vernehmungssituation Stress- und Angstzustände auslösen. Fühlt sich ein Beschuldigter derart nervös, dass er sich eine kohärente sachliche Aussage nicht zutraut, so erscheint die Einbringung einer schriftlichen Stellungnahme zu den Vorwürfen meist sinnvoller als die Beantwortung von Fragen im Rahmen der mündlichen Vernehmung. Denn es besteht stets die Gefahr, dass aufgrund von Nervosität Dinge unrichtig wiedergegeben oder wesentliche Informationen vergessen werden.
5. Probelauf
Sollte sich ein Beschuldigter dazu entschließen, aussagen zu wollen, so empfiehlt es sich, den Ablauf der Vernehmung mit seiner Rechtsvertretung vorab durchzuspielen in Form eines Frage-Antwort-Szenarios, um den Beschuldigten auf mögliche Fragen der Kriminalpolizei vorzubereiten.
Dieses „Vernehmungsspiel“ dient der optimalen Vorbereitung, hilft dem Beschuldigten zu erkennen, welche Informationen zur Aufklärung des Sachverhalts relevant sind, und zu verhindern, dass er sich während der Vernehmung in für den Sachverhalt nicht relevanten Ausführungen oder unwichtigen Details verläuft.
II. Während der Vernehmung
1. Aufnahme der persönlichen Daten und Rechtsbelehrung
Zu Beginn der Vernehmung wird der Beschuldigte nach seinen persönlichen Daten (Name, Geburtsdatum, Wohnadresse, Beschäftigung etc sowie auch Einkommen und Vermögen) befragt. Auch bei Angabe dieser Daten kann vom Schweigerecht Gebrauch gemacht werden.
Weiters wird der Beschuldigten über seine wesentlichen Rechte, insbesondere die bereits erwähnten Rechte auf Akteneinsicht und Dolmetsch sowie auf Beiziehung eines Rechtsbeistandes, belehrt. Diese Belehrung wird von ihm unterzeichnet und ist ein Teil des Vernehmungsprotokolls.
2. Aussagefreiheit/Schweigerecht
Als Beschuldigter hat man das Recht sich zu verantworten, wie man dies für richtig erachtet, oder von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Das Schweigerecht kann hinsichtlich sämtlicher Fragen oder aber auch nur hinsichtlich einzelner Fragen in Gebrauch genommen werden. Der wesentlichste Unterschied zwischen Beschuldigten und Zeugen besteht sohin in der Wahrheitspflicht, der Zeugen (bei sonstiger Gefahr der Verfolgung wegen falscher Beweisaussage) unterliegen und Beschuldigte nicht.
3. Verlauf der Vernehmung
Die Art und der Umfang der Vernehmung hängen einerseits vom Umfang und der Komplexität des Ermittlungsaktes, andererseits vom ermittelnden Beamten ab. Manche Beamte stellen viele und sehr detaillierte Fragen, andere lassen den Beschuldigten den Sachverhalt aus dessen Sicht ohne Unterbrechungen schildern und stellen dann gegebenenfalls Zusatzfragen.
Bei Beantwortung der Fragen ist es in den meisten Fällen sinnvoller, diese kurz und direkt zu beantworten und nicht auszuschweifen. Sollten zusätzliche Informationen benötigt werden, so wird der Ermittlungsbeamte diese ohnehin im Rahmen von Zusatzfragen erfragen. Im Falle eines vertretenen Beschuldigten ist zudem durch das zusätzliche Fragerecht seiner Rechtsvertretung am Ende der Vernehmung gewährleistet, dass keine wesentlichen Informationen vergessen werden.
Zu beachten ist, dass Rechtsvertreter kein Recht haben, die Vernehmung zu unterbrechen oder Zwischenfragen zu stellen. Diese können lediglich am Ende der Vernehmung ergänzende Fragen stellen. Die Anwesenheit eines Rechtsvertreters bei der Vernehmung ist dennoch sehr empfehlenswert, da dieser am Ende der Vernehmung die Richtigkeit der protokollierten Angaben kontrollieren kann. Für Beschuldigte, die sich während und nach der Vernehmung in einer psychischen Ausnahmesituation befinden, kann diese zusätzliche Kontrolle von enormer Bedeutung sein.
4. Stellung von Beweisanträgen und Vorlage von Unterlagen
Sofern die erhobenen Vorwürfe durch Zeugen oder Unterlagen entkräftet werden können, empfiehlt es sich, diese Zeugen bzw Unterlagen bereits im Rahmen der Vernehmung namhaft zu machen bzw vorzulegen. Im Falle eines komplexeren Sachverhalts kann dies auch in einer schriftlichen Eingabe vor oder nach der Vernehmung erfolgen.
III. Nach der Vernehmung
Genauso wichtig wie die Angaben, die der Beschuldigte im Rahmen einer Vernehmung macht, ist die anschließende Kontrolle deren Protokollierung. Dem Beschuldigten sowie dessen Rechtsvertretung wird am Ende der Einvernahme das Protokoll zur Durchsicht und Kontrolle übergeben. Jede Unstimmigkeit sowie alle nicht protokollierten Angaben sollten aufgezeigt werden.
Als Rechtsvertreterin schreibe ich bei Vernehmungen stets genau mit, um anschließend meine Notizen mit den Angaben im Protokoll abgleichen zu können. Gerade bei einer Beschuldigtenstellung ist essenziell, dass die Protokollierung tatsächlich das wiedergibt, was gesagt wurde, da bereits eine geringfügig abweichende Protokollierung etwa entscheidend sein kann für die Frage, ob ein Vorsatz vorliegt oder nicht.
Im Falle einer Anklage wird der Beschuldigte bzw dann Angeklagte vom Gericht nochmals zum Sachverhalt vernommen und werden dann allfällige Widersprüchlichkeiten zwischen dessen Aussage vor Gericht und vor der Polizei aufgegriffen und meist genau erörtert. Das Argument, wonach der Angeklagte anders ausgesagt hätte als von der Polizei protokolliert, wird von Gerichten nicht gern gehört und lässt sich im Rahmen einer Hauptverhandlung auch kaum nachträglich beweisen. Bei der Kontrolle des Protokolls sollte sich ein Beschuldigter daher keinesfalls scheuen, auch nur kleine Unstimmigkeiten aufzuzeigen.
2. Aushändigung des Protokolls und Frage nach weiterem Verfahrensverlauf
Nach der Vernehmung kann sich der Beschuldigte bzw dessen Rechtsvertretung das Protokoll der Einvernahme aushändigen lassen. Es empfiehlt sich, bei der Kriminalpolizei auch gleich die weiteren Verfahrensschritte (zB Vernehmung weiterer Prozessbeteiligter, Erstattung des Abschlussberichts) zu erfragen, um darüber in Kenntnis zu sein, wie der weitere Verlauf des Ermittlungsverfahrens sein wird und wann man wieder Akteneinsicht nehmen sollte.
3. Regelmäßige Akteneinsicht und Replik auf Ermittlungsergebnisse
Jedenfalls sollten Beschuldigte auch nach deren Vernehmung noch regelmäßig von deren Recht auf Akteneinsicht Gebrauch machen und den Verlauf des Verfahrens genau verfolgen. Insbesondere die Vernehmungsprotokolle von Mitbeschuldigten und Zeugen sollten genau durchgesehen werden, um auf diese gegebenenfalls im Rahmen einer Stellungnahme oder ergänzenden Vernehmung replizieren zu können.
4. Vorlage ergänzender Beweismittel
Sofern die erhobenen Vorwürfe durch Zeugen oder Unterlagen, die noch nicht namhaft gemacht oder vorgelegt wurden, widerlegt werden können, können im Rahmen oder nach der Vernehmung Beweisanträge gestellt und Unterlagen vorgelegt werden.
5. Einstellungsantrag
Sollte der Beschuldigte der Meinung sein, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Rahmen der Vernehmung bzw durch zusätzlich erstattete Stellungnahmen sowie die übrigen Ermittlungsergebnisse widerlegt wurden, so kann ein Einstellungsantrag bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eingebracht werden.