Praxistipps für Verurteilte: Urteil des Strafgerichts – wie kann ich mich wehren?
- RA Mag. Simone Marxer
- 8. Mai
- 5 Min. Lesezeit
Nach einem nachteiligen Urteil des Strafgerichts haben Verurteilte oft keine oder wenig Hoffnung. Doch auch nach einer Hauptverhandlung kann man noch einiges tun, um einen besseren Verfahrensausgang zu bewirken.
1. Überblick über Rechtsmittelmöglichkeiten
Folgende Rechtsmittelmöglichkeiten gegen Urteile eines Strafgerichts, die in diesem Blogbeitrag näher erklärt werden, bestehen:
Nichtigkeitsbeschwerde/Nichtigkeitsberufung
Damit können Verfahrensfehler in der Hauptverhandlung oder Feststellungs- und Begründungsmängel im erstgerichtlichen Urteil geltend gemacht werden.
Schuldberufung
Eine Schuldberufung kann ein Verurteilter erheben, wenn er die Verurteilung bekämpfen und einen Freispruch erwirken möchte.
Strafberufung
Mit einer Strafberufung kann ein Verurteilter die Höhe der verhängten Freiheits- oder Geldstrafe bekämpfen.
Berufung gegen den Privatbeteiligtenzuspruch
Sofern einem Opfer im Strafverfahren Schadenersatz zugesprochen wurde, kann sich der Verurteilte dagegen ebenfalls mit Berufung wehren.
2. Nichtigkeitsbeschwerde/Nichtigkeitsberufung
Mit diesem Rechtsmittel lassen sich Fehler, die in der Hauptverhandlung oder in der schriftlichen Urteilsausfertigung gemacht wurden, bekämpfen. In der Strafprozessordnung werden jene Fehler, die aufgegriffen werden können, abschließend aufgezählt. Andere als die gesetzlich ausdrücklich genannten Fehler können nicht geltend gemacht werden.
Hier sind einige praxisrelevante Beispiele für Fehler, gegen die ein Verurteilter eine erfolgreiche Nichtigkeitsbeschwerde/Nichtigkeitsberufung erheben könnte:
Ein Zeuge, der ein Aussagebefreiungsrecht hat (zB wegen Verwandtschaft zum Angeklagten) wurde hierüber vor seiner Aussage nicht belehrt;
Es wurden im Ermittlungs- und Hauptverfahren widersprüchliche Angaben von einem Zeugen getätigt, mit denen sich das Gericht in seinem Urteil nicht auseinandergesetzt hat;
Das Gericht hat für eine Strafbarkeit wesentliche Umstände (beispielsweise das Vorliegen eines Vorsatzes) in seinem Urteil nicht festgestellt oder nicht bzw. unzureichend begründet;
Es wäre eine Diversion möglich gewesen. Das Erstgericht hat diese Möglichkeit aber verneint oder sich nicht mit ihr auseinandergesetzt;
Es wurden gesetzliche Vorschriften bei der Strafbemessung verletzt, zB Erschwerungs- oder Milderungsgründe doppelt gewertet.
Für Nichtigkeitsbeschwerden in Schöffen- und Geschworenenverfahren besteht Anwaltspflicht. Eine rechtliche Vertretung ist allerdings auch bei Nichtigkeitsberufungen gegen Urteile des Bezirksgerichts oder Landesgerichts als Einzelrichter sehr zu empfehlen. Denn Nichtigkeitsgründe sind für Rechtslaien meist sehr schwer zu überblicken. Wird ein Nichtigkeitsgrund nicht gesetzeskonform ausgeführt, so kann ein erfolgreiches Rechtsmittel bereits an einem Formalmangel scheitern, selbst wenn der Nichtigkeitsgrund tatsächlich vorliegt.
3. Schuldberufung
Schuldberufungen richten sich gegen den Schuldspruch und haben einen Freispruch (von allen oder einzelnen Fakten) zum Ziel. Bekämpft wird die richterliche Beweiswürdigung.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Schuldberufung ist eine glaubwürdige Darlegung, weshalb das Erstgericht aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse zu anderen Feststellungen hätte gelangen sollen. Man kann beispielsweise erklären, weshalb der Belastungszeuge, dem das Erstgericht Glauben schenkte, unglaubwürdig oder widersprüchlich ausgesagt hat und das Gericht daher den Angaben des Verurteilten oder eines Entlastungszeugen folgen hätte sollen.
Eine Schuldberufung kann nur gegen das Urteil eines Bezirksgerichts oder Einzelrichters des Landesgerichts ergriffen werden. Gegen Urteile eines Schöffen- oder Geschworenengerichts sind Schuldberufungen nicht zulässig. Eine Bekämpfung der Beweiswürdigung im Schöffen- oder Geschworenenverfahren ist nur in sehr engen Grenzen im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde möglich.
4. Strafberufung
Strafberufungen haben eine geringere Strafe zum Ziel. Ein Verurteilter kann damit die Höhe der über ihn verhängten Geld- oder Freiheitsstrafe bekämpfen.
Geltend gemacht werden kann auch, dass ein Teil der Geld- oder Freiheitsstrafe oder die gesamte Freiheitsstrafe bedingt verhängt werden hätte sollen. Gänzlich bedingte Geldstrafen sind hingegen nicht möglich.
Ein bedingter Strafausspruch bedeutet, dass die Strafe nach dem Urteil nicht (wenn gänzlich bedingt) oder nur zum Teil (wenn teilbedingt) vollzogen wird. Für bedingte Strafen oder Strafteile wird eine Probezeit (meist drei Jahre) festgelegt. Bei Wohlverhalten in der Probezeit wird die Strafe gänzlich nachgesehen, dh der Verurteilte muss nicht in Haft oder einen Teil der Geldstrafe nicht begleichen.
Strafberufungen können gegen alle erstinstanzlichen Urteile von Bezirks- oder Landesgerichten erhoben werden. Für Strafberufungen gegen Urteile eines Schöffen- oder Geschworenengerichts besteht Anwaltspflicht.
5. Berufung gegen den Privatbeteiligtenzuspruch
Das Strafgericht kann einen Verurteilten auch schuldig erkennen, dem Privatbeteiligten (= dem am Verfahren beteiligten Opfer) Schadenersatz zu leisten.
Gegen diesen Privatbeteiligtenzuspruch kann sich ein Verurteilter ebenfalls mit Berufung wehren. Dabei kann er geltend machen, dass der Zuspruch zu Unrecht erfolgt ist oder nur ein geringerer Betrag hätte zugesprochen werden dürfen.
In folgenden Fällen könnte eine solche Berufung erfolgreich erhoben werden:
das Opfer hat den eingetretenen Schaden nicht ausreichend belegt.
über den Verurteilten wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. In diesem Fall ist kein Privatbeteiligtenzuspruch möglich.
es existieren mehrere Fakten und mehrere Verurteilte. Wenn das Erstgericht in so einem Fall nicht feststellt, welcher Verurteilte für welchen Schaden konkret verantwortlich ist, sondern pauschal alle Verurteilte zum Schadenersatz an alle Opfer schuldig erkennt, kann man sich dagegen mit Berufung wehren.
6. Erhebung mehrerer Rechtsmittel
Ein Verurteilter kann aufgrund mehrerer der dargelegten Gründe Rechtsmittel erheben. Möchte er das, so hat er im Verfahren vor dem Bezirksgericht oder Landesgericht als Einzelrichter in einer einzigen Eingabe die Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe und (sofern ein solcher erfolgt ist) gegen den Privatbeteiligtenzuspruch zugleich geltend zu machen. Sollte der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge gegeben werden, so wird in einem letzten Schritt über die Strafberufung entschieden.
Im Verfahren vor dem Schöffen- oder Geschworenengericht werden zumeist sowohl Nichtigkeitsbeschwerde als auch Strafberufung erhoben. Auch dies hat in einer gemeinsamen Eingabe zu erfolgen. Für den Fall, dass das Berufungsgericht keine Nichtigkeit feststellt, wird anschließend über die Strafberufung entschieden. Auch in diesem Fall kann zusätzlich eine Berufung gegen den Privatbeteiligtenzuspruch ausgeführt werden.
7. Fristen
Rechtsmittel gegen Urteile des Strafgerichts müssen binnen drei Tagen nach Urteilsverkündung angemeldetwerden. Zu beachten ist aber, dass diese Frist nicht an Samstagen, Sonn- oder Feiertagen enden kann. Wenn also das Urteil zB an einem Mittwoch verkündet wird, dann kann das Rechtsmittel bis kommenden Montag 24.00 Uhr angemeldet werden.
Die Anmeldung des Rechtsmittels kann entweder mündlich nach Urteilsverkündung oder innerhalb der dreitägigen Frist schriftlich erfolgen. In einer schriftlichen Eingabe genügt ein Einzeiler, welches Rechtsmittel innerhalb offener Frist angemeldet wird.
Für die Ausführung des Rechtsmittels stehen vier Wochen ab Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung zur Verfügung.
8. Rechtsmittelverfahren
Bei Erhebung eines Rechtsmittels gegen ein Urteil des Bezirksgerichts oder Landesgerichts als Einzelrichter findet in der Regel eine mündliche Berufungsverhandlung vor dem zuständigen Berufungsgericht statt. In dieser werden von Staatsanwaltschaft und Verteidigung die wesentlichen Punkte nochmals vorgetragen. Hinsichtlich der Schuld- und Strafberufung besteht kein Neuerungsverbot, dh es können auch neue Beweismittel vorgebracht oder neue Zeugen beantragt werden.
Über Berufungen des Bezirksgerichts entscheidet ein Drei-Richter-Senat des örtlich zuständigen Landesgerichts, über Berufungen des Landesgerichts als Einzelrichter ein Drei-Richter-Senat des örtlich zuständigen Oberlandesgerichts.
In Rechtsmittelverfahren gegen Urteile des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengerichts wird über Nichtigkeitsbeschwerden durch den Obersten Gerichtshof entschieden. Die Entscheidung wird meist schriftlich ohne Durchführung einer Verhandlung getroffen. Im Falle einer erfolgreichen Nichtigkeitsbeschwerde erfolgt in den meisten Fällen eine Aufhebung des bekämpften Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht. Es wird in weiterer Folge eine neue Verhandlung durchgeführt, bei der das Erstgericht die Feststellungen des Obersten Gerichtshofs zu berücksichtigen hat. Für diese neue Verhandlung ist ein anderer Richtersenat zuständig.
In seltenen Fällen entscheidet der Oberste Gerichtshof in der Sache selbst oder führt eine mündliche Verhandlung durch.
Sollte nur eine Strafberufung erhoben worden sein oder über diese nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den Obersten Gerichtshofs noch nicht entschieden worden sein, so entscheidet über die Strafberufung gegen Urteile des Schöffen- und Geschworenengerichts ein Drei-Richter-Senat des örtlich zuständigen Oberlandesgerichts. Meist findet eine mündliche Verhandlung statt.
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