I. Allgemeines
Opfer strafbarer Handlungen haben die Möglichkeit, für die ihnen entstandenen Schäden im Rahmen des Strafverfahrens gegen den Schädiger Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Hierfür müssen sie sich dem Strafverfahren als sogenannte Privatbeteiligte anschließen, was formfrei und bis zum Schluss des Beweisverfahrens einer Hauptverhandlung möglich ist.
Der Schaden, für den Ersatz begehrt wird, kann beispielsweise aus Delikten gegen Leib und Leben (zB ärztliche Behandlungskosten, Verdienstentgang und Schmerzengeld bei Opfern von Körperverletzungen) oder aus Vermögensdelikten (zB Vermögensschäden aus einem Diebstahl oder Betrug) resultieren.
Bei einer erfolgreichen Geltendmachung der Schadenersatzansprüche im Strafverfahren wird der Schädiger zur Leistung von Schadenersatz an das Opfer verurteilt. Dadurch kann sich dieses einen zeit- und kostspieligen Zivilprozess ersparen. Daher ist es für Opfer von Straftaten von großem Interesse, ihre zivilrechtlichen Ansprüche möglichst schon im Strafprozess durchzusetzen.
Eine aktive Mitwirkung des Opfers in sämtlichen Verfahrensstadien des Strafverfahrens kann eine erfolgreiche Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erheblich erleichtern. Mit den im Folgenden dargelegten Praxistipps können Opfer ihre Schadenersatzansprüche effektiv durchsetzen.
II. Ermittlungsverfahren
1. Aktive Verfolgung des Verfahrens/Akteneinsicht
Voraussetzung für eine effektive Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche durch das Opfer ist zunächst, dass dieses das Strafverfahren gegen den Schädiger aktiv verfolgt. Von den Entwicklungen im Verfahren kann das Opfer durch Akteneinsicht bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft Kenntnis erlangen. Akteneinsicht sollte sowohl vor der Opfervernehmung als auch danach regelmäßig genommen werden.
2. Vorbereitung auf die Vernehmung
Auch für Opfer ist es sinnvoll, sich auf eine Vernehmung gründlich vorzubereiten und einen Rechtsbeistand beizuziehen. Denn häufig sind nicht nur Beschuldigte, sondern auch Opfer in Vernehmungssituationen nervös und vergessen dadurch wesentliche Informationen.
In Vorbereitung auf die Opfervernehmung empfiehlt es sich, die für die Behörden wesentlichen Informationen aufzubereiten. War jemand beispielsweise Opfer eines Verkehrsunfalls, so könnten der Unfallhergang rekonstruiert sowie Unterlagen zu den Verletzungen herausgesucht und anschließend während der Vernehmung der Kriminalpolizei übergeben werden.
Zu beachten ist, dass Opfer bzw Privatbeteiligte als Zeugen einvernommen werden und daher der Wahrheitspflicht unterliegen. Auch deshalb ist es essenziell, den Geschehensverlauf vor der Vernehmung zu rekonstruieren, um Vorwürfe einer falschen Beweisaussage oder Verleumdung durch die Verteidigung zu vermeiden.
3. Kontrolle der Protokollierung
Weiters sollte auch das Opfer nach seiner Aussage vor der Kriminalpolizei die Protokollierung genau kontrollieren und auf allfällige Fehler oder Unvollständigkeiten im Protokoll hinweisen. Dies ist für das gesamte weitere Verfahren relevant, da die Aussage vor der Polizei, sofern es zu einer Anklage kommt, im Rahmen der Hauptverhandlung nochmals erörtert wird. Widersprüche zwischen Angaben vor Gericht und vor der Polizei werden regelmäßig von Gericht, Staatsanwaltschaft und der Verteidigung aufgegriffen, wodurch eine erfolgreiche Durchsetzung der Schadenersatzansprüche vereitelt werden könnte.
4. Beweisanträge
Wesentlich ist darüber hinaus, dass Opfer, die sich dem Verfahren als Privatbeteiligte anschließen, das Recht haben, Beweisanträge zu stellen. Kann beispielsweise das Opfer eines Diebstahls oder eines Verkehrsunfalls eine Person namhaft machen, die während des Vorfalls anwesend war und hierzu Wahrnehmungen hat, so sollte diese als Zeuge namhaft gemacht werden.
5. Schriftliche Stellungnahmen
Bei komplexeren Sachverhalten, beispielsweise in umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren, empfiehlt sich zusätzlich zur Vernehmung die Einbringung einer schriftlichen Stellungnahme durch das Opfer, in der die relevanten Ereignisse chronologisch unter Vorlage von Urkunden und Nennung von Beweismitteln dargelegt werden.
6. Privatbeteiligtenanschluss und Schadensbezifferung
Selbst wenn der Schaden erst im Rahmen der Hauptverhandlung beziffert werden muss, empfiehlt sich ein Privatbeteiligtenanschluss unter Schätzung der Schadenssumme bereits im Ermittlungsverfahren. Eine Ausdehnung des Privatbeteiligtenanschlusses bzw eine genaue Bezifferung des Schadens ist anschließend immer noch möglich.
Wird der Schaden bereits im Ermittlungsverfahren geschätzt und gegenüber den Ermittlungsbehörden bekannt gegeben, so kann dies einerseits die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen und einer Anklageerhebung und andererseits das Gericht bei der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung berücksichtigen.
7. Rechtsmittel gegen Verfahrenseinstellung
Im Falle einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Schädiger ist das Opfer durch die Staatsanwaltschaft zu benachrichtigen. Das Opfer hat dann die Möglichkeit, bei Vorliegen eines der in der Strafprozessordnung genannten Fortführungsgründe die Fortführung des Verfahrens zu beantragen.
In der Praxis sind derartige Fortführungsanträge jedoch nur sehr selten erfolgreich. Fälle, in denen diese erfolgsversprechend sein könnten, sind das Unterlassen wesentlicher Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft (zB die nicht erfolgte Vernehmung eines relevanten Zeugen) oder das Beibringen wesentlicher neuer Beweismittel durch das Opfer.
III. Hauptverfahren
1. Teilnahme an der Hauptverhandlung
Zur Hauptverhandlung gegen den angeklagten Schädiger werden das Opfer und, sofern dieses vertreten ist und sich dem Verfahren als Privatbeteiligter angeschlossen hat, dessen Rechtsvertretung geladen.
Dem Privatbeteiligtenvertreter ist die Teilnahme an der Verhandlung von Beginn an gestattet. Hingegen darf das Opfer den Verhandlungssaal erst unmittelbar vor seiner Vernehmung nach Aufruf durch das Gericht betreten, was dessen unbeeinflusste Zeugenaussage gewährleisten soll.
Nach seiner eigenen Einvernahme darf das Opfer im Verhandlungssaal verbleiben.
2. Befragung des Angeklagten
Der Privatbeteiligtenvertreter kann dem Angeklagten, der stets vor sämtlichen Zeugen befragt wird, Fragen stellen, Unterlagen vorhalten und auf relevante Umstände, beispielsweise auf Widersprüche in dessen Aussage vor der Polizei und vor Gericht, hinweisen. Gerade in komplexeren Strafverfahren empfiehlt sich daher oft die Beiziehung eines Rechtsvertreters durch das Opfer, damit dieser den Angeklagten im Rahmen seiner Aussage konfrontieren kann.
3. Konkretisierung des Schadensbetrags
Sofern dies nicht bereits im Ermittlungsverfahren erfolgt ist, muss bis zum Schluss des Beweisverfahrens der Schadensbetrag, den das Opfer zugesprochen erhalten möchte, konkretisiert werden. Dies geschieht üblicherweise im Rahmen der Befragung des Opfers durch dessen Rechtsbeistand oder, sofern das Opfer unvertreten ist, auf Frage des Gerichts, ob und mit welchem Betrag sich dieses als Privatbeteiligter anschließen möchte.
4. Vergleichsabschluss
Im Rahmen des Hauptverfahrens besteht die Möglichkeit des Abschlusses eines Vergleichs über die privatrechtlichen Ansprüche zwischen dem Angeklagten und dem Privatbeteiligten. Ein solcher zivilrechtlicher Vergleich vor dem Strafgericht stellt einen Exekutionstitel dar. Allerdings verliert der Privatbeteiligte hinsichtlich der verglichenen Ansprüche seine Parteistellung im Strafverfahren, weshalb ein Vergleichsabschluss gut überlegt sein sollte.
Das Strafgericht kann den Privatbeteiligten und den Angeklagten auf Antrag oder von Amts wegen zu einem Vergleichsversuch laden und einen Vorschlag für einen Vergleich unterbreiten.
5. Diversionelle Erledigung
Sofern das Gericht den Angeklagten für schuldig erachtet, ist außer einem Schuldspruch auch eine sogenannte diversionelle Erledigung möglich. Das bedeutet, dass bei leichten oder mittelschweren Delikten das Verfahren gegen Verhängung einer Maßnahme eingestellt werden kann. Meist wird dem Angeklagten dabei eine Leistung (zB Geldbuße, gemeinnützige Leistungen, Tatausgleich) auferlegt. Bei sehr geringfügigen Delikten ist auch die bloße Verhängung einer Probezeit möglich.
Gerade bei unbescholtenen Tätern, die Verantwortung für die Straftat übernehmen, sind derartige diversionelle Erledigungen häufig. Auch wenn das Opfer einer Diversion nur im Falle des Tatausgleichs explizit zustimmen muss, sind die Interessen des Opfers auch bei sonstigen diversionellen Erledigungen zu berücksichtigen. In der Praxis macht das Gericht die diversionelle Erledigung üblicherweise davon abhängig, ob der Täter die vom Gericht anerkannten Schadenersatzansprüche des Opfers erstattet hat.
6. Verurteilung
Sollte das Strafverfahren durch eine Verurteilung enden, so hat das Strafgericht in seinem Urteil auszusprechen, in welchem Umfang dem Opfer Schadenersatz zugesprochen wird. Ein Zuspruch erfolgt in der Praxis dann, wenn die Schadenersatzansprüche für das Gericht ohne umfangreiche zusätzliche Ermittlungen feststellbar sind.
Falls hingegen aufwändige Erhebungen zur Bezifferung des Schadens erforderlich wären, verweist das Strafgericht den Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg. Dies hat zur Folge, dass die Ansprüche im Rahmen eines Zivilverfahrens durchgesetzt werden müssen.
Häufig ist allerdings auch ein Mittelweg, also ein teilweiser Zuspruch der geltend gemachten Ansprüche und ein teilweiser Verweis auf den Zivilrechtsweg.
Eine möglichst detaillierte und gut belegte Darlegung der Schadenersatzansprüche, die dem Gericht deren Beurteilung erleichtert und eigene Erhebungen möglichst erspart, ist daher empfehlenswert.
Wird der Schädiger zum Ersatz des Schadens des Privatbeteiligten verurteilt, so stellt der im Strafurteil enthaltene Privatbeteiligtenzuspruch, sobald dieses in Rechtskraft erwachsen ist, einen Exekutionstitel dar. Der Privatbeteiligte kann daher mit diesem, ohne einen Zivilprozess anzustrengen, ein Exekutionsverfahren einleiten, sofern der Schädiger den Schadensbetrag nicht binnen der im Urteil genannten Frist erstattet.
7. Freispruch
Im Falle eines Freispruchs erfolgt in keinem Fall ein Zuspruch von Schadenersatzansprüchen und wird der Privatbeteiligte daher stets auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
IV. Rechtsmittelverfahren
1. Rechtsmittelarten und Fristen
Ebenso wie einem Angeklagten stehen auch dem Privatbeteiligten, je nach Art der Beschwer, verschiedene Rechtsmittel zur Verfügung.
Bei einem Freispruch kann der Privatbeteiligte in den unter Punkt 2. dargelegten Fällen Nichtigkeitsbeschwerde bzw. Nichtigkeitsberufung erheben.
Gegen einen (teilweisen) Verweis auf den Zivilrechtsweg trotz Verurteilung des Angeklagten kann sich der Privatbeteiligte mit einer Berufung wehren, wie unter Punkt 3. näher dargelegt.
Über die Rechtsmittel des Privatbeteiligten entscheidet das zuständige Rechtsmittelgericht. Je nach Art des Verfahrens ist dies entweder das örtlich zuständige Landesgericht (bei Berufungen gegen bezirksgerichtliche Urteile), das örtlich zuständige Oberlandesgericht (bei Berufungen gegen Urteile des Landesgerichts) oder der Oberste Gerichtshof (bei Nichtigkeitsbeschwerden gegen Urteile des Landesgerichts).
Der Privatbeteiligte hat das Rechtsmittel binnen drei Tagen ab Urteilsverkündung beim Erstgericht anzumelden und nach Erhalt der schriftlichen Urteilsausfertigung binnen vier Wochen schriftlich auszuführen.
Gegen die Entscheidung des zuständigen Rechtsmittelgerichts steht kein weiteres Rechtsmittel zu.
2. Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde/Nichtigkeitsberufung bei Freispruch
Eine sogenannte Nichtigkeitsbeschwerde (gegen Urteile des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht) oder Nichtigkeitsberufung (gegen Urteile des Landesgerichts als Einzelrichter oder des Bezirksgerichts) kann durch den Privatbeteiligten (nur) dann ergriffen werden, wenn er wegen eines Freispruchs auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde und ein von ihm gestellter Beweisantrag, der geeignet gewesen wäre, seinen privatrechtlichen Anspruch zu (mitzu)begründen, abgewiesen wurde.
Eine erfolgreiche Nichtigkeitsbeschwerde bzw Nichtigkeitsberufung gegen die Zurückweisung des Privatbeteiligtenzuspruchs wegen einer ungerechtfertigten Abweisung eines Beweisantrags hat zur Folge, dass das Rechtsmittelgericht das bekämpfte Urteil aufhebt und das Verfahren an das zuständige Erstgericht, allerdings einen anderen Richter bzw Richtersenat, zurückverweist. In der Folge wird eine neue Hauptverhandlung durchgeführt, bei welcher der nunmehr zuständige Richtersenat die Erwägungen des Rechtsmittelgerichts zu berücksichtigen hat.
3. Erhebung einer Berufung bei Verweisung auf den Zivilrechtsweg
Für den Fall, dass der Angeklagte verurteilt und der Privatbeteiligte dennoch auf den Zivilrechtsweg verwiesen wird, steht diesem das Rechtsmittel der Berufung zu. In welchem Ausmaß Berufung ergriffen werden kann, hängt von der Art des Verfahrens ab.
In Schöffen- oder Geschworenenverfahren vor dem Landesgericht kann eine Berufung nur gegen die gänzliche Verweisung auf den Zivilrechtsweg erhoben werden.
In Verfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter oder dem Bezirksgericht kann sich der Privatbeteiligte auch gegen die Höhe des Zuspruchs wehren und eine teilweise Verweisung auf den Zivilrechtsweg bekämpfen.
In der Berufung ist auszuführen, dass auf Grundlage der in der Hauptverhandlung erörterten Ergebnisse des Strafverfahrens das Erstgericht einen Zuspruch hätte vornehmen müssen. Darzulegen ist sohin, dass auf Grundlage der vorliegenden Unterlagen und Beweismittel ein Zuspruch ohne zusätzliche Erhebungen erfolgen hätte können.
Über die Berufung entscheidet das zuständige Rechtsmittelgericht entweder in nichtöffentlicher Sitzung oder in einer Berufungsverhandlung.
Eine Entscheidung in nichtöffentlicher Sitzung erfolgt, wenn die Berufung als unzulässig zurückgewiesen wird (zB weil sie zu spät erhoben wurde).
Ansonsten wird seitens des Berufungsgerichts eine Berufungsverhandlung durchgeführt, bei welcher über die Berufung des Privatbeteiligten entschieden wird.
Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Blogbeitrag das generische Maskulinum verwendet. Die in diesem Beitrag verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich auf alle Geschlechter.